Fehlerkultur in Deutschland…

Um gleich zu Beginn ein Missverständnis auszuschließen: Es gibt nicht DIE Fehlerkultur in Deutschland. Und es gibt nach meiner Kenntnis auch keine durchgängige Kausalkette, wie sie sich zu dem entwickelt hat, was wir heute beobachten und erleben. Aber es gibt Merkmale, Gegebenheiten und Verhaltensweisen, die in ihrer Gesamtheit erlauben, Schlussfolgerungen zu ziehen, die eine weitreichende Gültigkeit besitzen.

Ich beginne mit einer Anekdote, die von einer amerikanischen Firma erzählt wird:

Ein neu eingestellter Top-Manager macht einen Riesenfehler, der das Unternehmen über eine Million Dollar kostet. Als er daraufhin zum Chef des Unternehmens gerufen wird, erwartet er seine sofortige Kündigung. Stattdessen bittet ihn der Chef um Vorschläge, wie man den Fehler wiedergutmachen kann.

Die beiden diskutieren diese und der Chef will das Gespräch beenden. Der Manager ist irritiert und fragt ihn, ob er jetzt entlassen sei. Darauf der Chef „Warum soll ich Sie entlassen, wo ich doch gerade eine Million Dollar in Ihre Ausbildung investiert habe.“

Könnte so etwas in Deutschland passiert sein oder heute passieren?

Oder ist unsere Denkweise nicht eher: Fehler müssen bestraft werden?

In vergleichbaren Fällen bei uns würden in den Medien möglicherweise Passanten in einer Fußgängerzone zu Wort kommen mit Statements für eine Entlassung dieses Top-Managers. Nach dem Motto „So einem geschieht es zu Recht. Selbst schuld!

Wie oft begegnet uns in Deutschland diese Mischung aus Schadenfreude, Neid oder gar Missgunst?

Wenn einem Politiker z. B. eine fehlerhafte Reisespesenabrechnung, vorgeworfen wird, ist dieser kleine Fehltritt in unseren Medien schnell ein Drama. Nach der Kompetenz oder den Verdiensten des betreffenden Politikers fragt in dem Augenblick kaum jemand.

Ich erinnere mich noch gut an die zahlreichen Medienberichte zum Gerichtsverfahren von Uli Hoeneß. Und die anschließende Genugtuung, um nicht zu sagen die Schadenfreude, über seine Gefängnisstrafe.

Wo liegen die Wurzeln unserer Fehlerkultur?

Wo liegen die Wurzeln solcher Einstellungen, wo die unseres Umgangs mit Fehlern und Misserfolgen? Was ist in Deutschland anders, als in den USA oder anderen europäischen Staaten?

Fangen wir an mit …

Fehler müssen bestraft werden

Eine solche Einstellung zu Fehlern und Strafen ist nicht einfach nur Gerechtigkeitssinn. Wir haben sie zumindest zum Teil den preußischen Herrschern zu verdanken.

Unter denen hat sich der Soldatenkönig, Friedrich Wilhelm I., Vater Friedrichs des Großen, im 18. Jahrhundert besonders hervorgetan: Strenge Zucht und Ordnung, konsequente harte Bestrafung, extremer militärischer Drill und penible Verhaltensvorschriften sind vor allem auf ihn zurückzuführen. Die „Preußischen Tugenden“, heutzutage mal anerkennend, mal abschätzig kommentiert, haben u. a. in dieser Epoche ihren Ursprung. 

Sicherlich hat aber auch Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg mit seiner Stuttgarter „Gassensäuberungs-Ordnung“ vor 300 Jahren, dem Vorgänger der schwäbischen „Kehrwoche“, einen entsprechenden Beitrag geleistet.

Reichtum – Soziale Gerechtigkeit

Ein weiterer wichtiger Aspekt bezüglich unserer Fehlerkultur scheint mir die Einstellung zu Reichtum und Vermögen zu sein.

Eine Aussage beispielsweise wie die nachfolgende des US-Präsidenten Ronald Reagan wäre in Deutschland undenkbar: „Was ich vor allen Dingen erreichen möchte, ist, dass dies ein Land bleibt, in dem jedermann reich werden kann.“ Der 1920 verstorbene Soziologe und Nationalökonom Max Weber führte diese amerikanische Einstellung zu Reichtum und Vermögen auf den Einfluss der calvinistischen „Pilgerväter“ zurück. 

Dagegen lernen wir im Rahmen unserer christlichen Erziehung etwas vereinfacht: „Der Arme kommt ins Himmelreich“. So stimmt die Aussage zwar nicht, aber vor dem Hintergrund der weiteren …

wirkt das für viele wie eine eindeutige Botschaft: „Arm = Gut, Reich = Schlecht!“

Im Gegensatz zum Credo von Ronald Reagan fordern bei uns vor allem die Evangelische Kirche sowie die Gewerkschaften und die links orientierten Parteien „Verteilungsgerechtigkeit“ oder „soziale Gerechtigkeit“. Der spanische Schriftsteller und Politiker Gonzalo Fernández de la Mora hält diese Forderung für die „Verkleidung des Sozial- bzw. Kollektivneides“.

Neid – Missgunst

Diese Auffassung passt zu dem, was Deutsche, die lange Zeit in den USA waren und dort Erfolg hatten, über Unterschiede zwischen beiden Ländern sagen: Neid und Schadenfreude, so wie in Deutschland, hätten sie jenseits des Atlantiks nicht oder kaum bemerkt.

Der Filmregisseur Wolfgang Petersen fasst das so zusammen: In Amerika dominiert eine „naive Freude am Erfolg“, während in Deutschland dem Erfolgreichen „eine gewisse Häme und Missgunst“entgegengebracht wird.

Prof. Dr. Hans-Christian Röglin, früher Leiter des Instituts für angewandte Sozialpsychologie in Düsseldorf, hält Neid für „eine Konsequenz wachsender Orientierungslosigkeit“. Wenn klassische Wertordnungen verschwinden, bleibt dem Menschen für die eigene Einordnung in die Gesellschaft „nur der Vergleich mit den anderen. So entwickelt sich die Psychologie einer Gesellschaft, in der es einem Menschen nicht gutgeht, wenn es ihm gutgeht, sondern schlecht, wenn es anderen besser geht.“

Das gilt für das Auto des Nachbarn ebenso wie für das berufliche Vorankommen eines Kollegen in der Firma. Und wohl auch für unsere Gesellschaft: Möchten die Abgeordneten ihre Diäten erhöhen, macht sofort die „Selbstbedienungsmentalität“ die Runde. Ist das nicht auch eine Form von Sozialneid?

Demnächst geht es weiter mit Teil 2 der Fehlerkultur in Deutschland, denn wir alle haben mal ganz klein angefangen …

Ludger Grevenkamp
30. Juli 2018

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