Fehlerkultur in Deutschland – Teil 2

Im Teil 1 zur Fehlerkultur in Deutschland standen historische, religiöse und soziologische Ursachen unseres Umgangs mit Fehlern und Misserfolgen im Mittelpunkt.

In diesem Teil 2 beschäftige ich mich mit unseren unmittelbaren persönlichen Wurzeln der Fehlerkultur. Wohl wissend, dass natürlich nicht jeder in gleicher Weise erzogen wurde oder aufgewachsen ist.

Unsere Erziehung

 „denn wir alle haben mal ganz klein angefangen …“

Von klein auf lernen wir aus Fehlern und wir prägen uns, überwiegend unbewusst, genau ein, wie unsere Eltern und Erzieher(innen) mit unseren Fehlern umgehen.

Deren Bandbreite reicht von: „Ach, wie süß.“ oder „Ach, das Kind ist ja noch so klein!“ bis zu „Kannst Du nicht aufpassen?“, Wie oft habe ich Dir das schon gesagt?“

Eine Chance, einen Fehler selbst wieder gut zu machen, bekommt man auch nicht unbedingt, weil die betreffende Person, die das ermöglichen könnte, zu genervt ist.

Wann hört man schon: „Oh, gut dass nichts Schlimmeres passiert ist. So kann das Kind ohne größeren Schaden daraus lernen.“

Schule

Natürlich ist nicht jede Schule gleich und es gibt auch zahlreiche private Schulen, wie z. B. Waldorf oder Montessori Schulen. Da die meisten von uns aber eine öffentliche Schule besucht haben, konzentriere ich mich im Folgenden vor allem darauf.

Ganz wichtig sind in der Schule die Rückmeldungen.

Anfangs gibt es häufig Smileys und Sternchen, vielleicht aber auch mal Fragezeichen oder „Heulis“. Später dann die Noten von 1 bis 6 bzw. 1 bis 15 Punkte und natürlich die Zeugnisse. In Klassenarbeiten, Tests und Klausuren werden Fehler eindeutig markiert und ggfs. erläutert – meistens in roter Farbe. Wir werden überwiegend nach den Fehlern bewertet, die wir gemacht haben.

Die Eltern, die dieses System in ihrer Kindheit auch genossen haben, fragen nach der Note und stürzen sich dann besonders auf die vom Lehrer markierten und kommentierten Stellen, was meistens Fehler bedeutet. Es ist eigentlich kein Wunder, dass wir Deutschen sehr auf Fehler fokussiert sind.

Soweit die überwiegend schriftliche („numerische“) Rückmeldung zu unseren Leistungen und unserem Verhalten.

Mündliche, emotionale und soziale Rückmeldungen sind dann eine Mischung aus positivem oder negativem Lehrer-Feedback und Reaktionen von Klassen- und Schulkameraden. Nicht unwesentlich davon geprägt, ob man gemocht wird oder nicht bzw. inwieweit man als cool gilt. Von Auslachen und Spott über einfach „lustig“ bis hin zur „Heldentat“ reicht die Palette der Rückmeldungen.

Insgesamt ist in deutschen Schulen die Angst vergleichsweise groß, bei Fehlern ausgelacht oder gar verspottet zu werden. Deshalb halten sich viele Kinder mit Wortmeldungen eher zurück und gehen gar nicht gern zur Tafel oder zum Whiteboard. Außerdem, wer hier zu eifrig ist, gerät leicht in den Verdacht ein „Streber“ zu sein.

Früher gab es auch relativ häufig das Sitzenbleiben: „Das Klassenziel wurde nicht erreicht“ oder so ähnlich. Das war ein klares Scheitern. Auch heute noch hat es eher einen „negativen Touch“, wenn ein Kind eine Klasse wiederholt.

Wie ich in den bisherigen Beiträgen zu Fehler und Fehlerkultur betont habe, ist die Angst vor Fehlern extrem destruktiv. Sie hindert uns, unser Potenzial auszuschöpfen. In der Schule bedeutet sie eindeutig geringeren Lernerfolg.

Arbeitsleben

Im Arbeitsleben setzt sich dies (leider) fort. Viele Beispiele für destruktive Fehlerkultur sind auf das Erlebte in Kindheit und Jugend zurückzuführen. Wer öfter negatives Feedback erntet, überlegt sich gut, ob er eine neue Idee auch kundtut. Ein Bedenkenträger schneidet häufig besser ab als der Kollege, der mutig voranprescht.

Im Ausland gibt es den Begriff „German Angst“. Angeblich haben die Deutschen ständig Angst. Sie haben Angst vor Fehlern und vor Misserfolgen. Angst, ihr Geld zu verlieren. Angst, krank zu werden, und Angst, dass es in Zukunft schlechter wird.

Vielleicht ist die zu erwartende konsequente Bestrafung auch ein Grund für einen besonders gravierenden Fehler, nämlich Fehler zu vertuschen, zu verschweigen, abzustreiten oder anderweitig nicht zugeben zu wollen.  Die Beispiele aus Politik und Wirtschaft hierfür sind leider sehr zahlreich.

Wenn in Deutschland ein Unternehmer scheitert, verfolgt ihn das Jahre und Jahrzehnte. Eine zweite Chance scheitert häufig schon an seinem negativen Schufa-Eintrag.

In den USA ist das anders. Jeff Bezos hat z. B. mit seinem ersten Unternehmen ein Vermögen verloren, bevor er Amazon gründete.

Wäre so etwas in Deutschland auch möglich?

Der positive Aspekt des Scheiterns

In einem unserer Executive Search Mandate (Geschäftsführer) war ein wesentliches Plus für den letztendlich ausgewählten Kandidaten ein „Karriereknick“. Er war schon mal gescheitert und hatte sich wieder „hochgerappelt“. Denn eine solche persönliche Erfahrung ist unbezahlbar.

Seit kurzem gibt es in einigen deutschen Städten so genannte FuckUp-Nights. Dort werden Misserfolge als Show zelebriert. Unternehmer berichten über ihr Scheitern und werden dafür wie Stars gefeiert. Kommen wir so zu einer neuen Fehlerkultur?

Wie geht es weiter?

Mit Absicht war ich bei der Analyse der Fehlerkultur in Deutschland etwas ausführlicher. Ich halte es nämlich für äußerst wichtig zu verstehen, wo wir in Sachen Fehlerkultur herkommen, was uns diesbezüglich geprägt hat. Natürlich können wir unser „soziologisches Erbgut“ und unsere Erziehung nicht einfach wegdrücken. Aber das Verstehen, warum wir uns so verhalten, hilft, wenn wir etwas ändern wollen.

Denn unstrittig ist, dass eine hohe Risikobereitschaft, eine geringe Angst vor Misserfolgen und die persönliche und gesellschaftliche Akzeptanz des Scheiterns wichtig sind, um erfolgreich zu sein. Im nächsten Beitrag zum Thema „Fehler“ fasse ich zusammen, was eine zeitgemäße positive Fehlerkultur ausmacht.

Ludger Grevenkamp
15. August 2018

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